1950 gelingt Karin gemeinsam mit ihrer Familie die Flucht aus Leipzig nach Frankfurt. Die Stadt ist noch ein Trümmerhaufen. Doch der Vater tut eine Bretterbude auf in der er die „Buchhandlung Wünsche“ wiedereröffnet. Karin, jung und neugierig auf das Leben, fühlt sich manchmal beengt in der Lebenssituation mit der Familie, die im Haus der Tante lebt und ihrer Lehrstelle bei einer anderen Buchhandlung. Als sie den jungen amerikanischen Soldaten Billy kennenlernt wird alles anders. Sie verbringen so viel Zeit wie möglich zusammen, heimlich natürlich, und Karin erlebt ihre erste große Liebe. Dass Billy Schwarz ist, stört dabei nur die Umgebung. Es ist zu dieser Zeit nicht schicklich, eine uneheliche Liebesbeziehung zu haben. Zu einem GI erst recht. Wenn dann die Hautfarbe auch nicht stimmt… Die Deutschen haben nichts dazugelernt. Unverhofft wird Billy abberufen und Karin hat keinen Kontakt mehr zu ihm. Doch sie ist schwanger.
Karins jüngere Schwester Vera wird ebenfalls erwachsen und sucht nach der Liebe und Unabhängigkeit. Ihre Entwicklung ist als zweite Perspektive sehr interessant zu lesen. Ebenso die Familiengeschichte, die nicht den üblichen Klischees in anderen Romanen dieser Zeit entspricht. Hier passiert so viel und vor allem ist es möglich, den Figuren sehr nah zu kommen.
Eine dramatische Liebesgeschichte? Ja, das ist dieser Roman zum Teil. Vielmehr aber geht es um Vorurteile, patriarchische Strukturen und den Umgang mit Regeln und Gesetzen, die längst überholt sind. Es geht um Mut, zu sich zu stehen und die Hürden als Frau in dieser Zeit. Auch der Wert einer Familie, die zusammenhält wird sehr deutlich. Juliane Michel hat dafür das Frankfurt der Nachkriegszeit lebendig werden lassen.
Fazit: Diesr tiefgründige Roman liest sich viel zu schnell. Jede Seite hat ihre Berechtigung und es bleibt spannend bis zum Schluss. Eine absolute Leseempfehlung!
Juliane Michel: Fräulein Wünsche und die Wunder ihrer Zeit. Heyne 2022
ISBN978-3-453-42584-2